Die Forderung, eine Stadt oder gar ein Land ohne Polizei zu betreiben, klingt für viele wie eine romantische Utopie – oder wie ein Rezept für Chaos. Wer würde dann für Sicherheit sorgen? Wer würde Ladenbesitzer vor Plünderern schützen oder Konflikte schlichten, bevor sie eskalieren?
Die Definition der Polizei ist klar: Sie ist die Institution, die öffentliche Ordnung, Sicherheit und Gesetzestreue garantiert. Entfernt man sie über Nacht, entsteht kein Paradies, sondern eine gefährliche Lücke.
Doch die Frage, wann eine Gesellschaft keine Polizei mehr braucht, lohnt sich trotzdem – nicht, um sie heute abzuschaffen, sondern um zu verstehen, welche Veränderungen dafür notwendig wären.
Die Polizei ist im Grunde ein Spiegel der Gesellschaft, der sie dient. Korruption, übermäßige Gewalt oder Misstrauen gegenüber den Bürgern entstehen nicht im luftleeren Raum. Sie sind Ausdruck derselben Spannungen, Vorurteile und egoistischen Interessen, die wir alle – in unterschiedlichem Maß – in uns tragen. Eine gewalttätige oder misstrauische Gesellschaft wird auch eine gewalttätige oder misstrauische Polizei haben.
Wenn wir ernsthaft über eine Welt ohne Polizei sprechen wollen, müssen wir an der Wurzel ansetzen: bei den Beziehungen zwischen den Menschen. Solange jeder vor allem seine eigenen Interessen verfolgt und andere nur dann beachtet, wenn es ihm nützt, wird es immer jemanden geben, der Grenzen überschreitet – und jemand, der diese Grenzen schützen muss.
Der Schlüssel liegt in einem gesellschaftlichen Wandel, der nicht durch Gesetze oder Strafen, sondern durch Bildung und gemeinsames Erleben entsteht. Wir müssten lernen – und täglich üben – dass unsere Sicherheit untrennbar mit der Sicherheit aller verbunden ist. Das bedeutet: gegenseitige Verantwortung, Empathie und das Bewusstsein, dass der Schaden eines Einzelnen letztlich allen schadet.
Ein solches Lernen wäre nicht auf Schulbänke beschränkt. Es bräuchte Gruppen, in denen Menschen bewusst daran arbeiten, Konflikte zu lösen, Unterschiede zu überbrücken und Vertrauen aufzubauen. Nicht als Theorie, sondern als praktische, wiederholte Erfahrung. Erst wenn diese Haltung tief in der Gesellschaft verankert ist, kann man darüber nachdenken, Polizeiarbeit zu reduzieren – weil sie schlicht kaum noch nötig wäre.
Bis dahin gilt: Weniger Polizei ohne mehr Verantwortung in der Gesellschaft bedeutet nicht Freiheit, sondern Anarchie. Der Weg in eine Welt ohne Polizei führt nicht über deren Abschaffung, sondern über eine tiefgreifende Veränderung in uns selbst.
Geschrieben/bearbeitet von Studenten des Kabbalisten Michael Laitman.
